Kultur

Meine Freundin kann mit Kultur nichts anfangen.

Meine Freundin kann mit Kultur nichts anfangen. Schon wie sie das Wort ausspricht, bringt ihre ganze Abneigung gegen jegliche Unternehmung, ihren geistigen Horizont zu erhellen, zum Ausdruck: ein hartes 'K' knallt aus ihrem Mund wie ein Pistolenschuss bei einer Hinrichtung, gefolgt von einem langgezogenen 'u' wie der traurig-schaurige Laut eines Uhus, das 'l' wird etwas obszön von der Zunge durch die Frontzähne geschoben, das 't' lässt das Leiden einer Kreuzigung erahnen und das abschliessende 'r' wird gerollt wie das Donnergrollen eines nahenden Unwetters. Dazu spuckt sie ein bisschen und tupft sich dann mit übertrieben vornehmem Gestus die gespitzten Lippen mit dem Saum ihres Pullovers ab. Ihre magere Bilanz: Ballett – noch nie, Theater – noch nie, Operette – noch nie, Oper – einmal und nie wieder. Prompte Anwesenheitsflucht durch akuten Schlafanfall mit kontrapunktiv gesetzten Schnarchern.

„Ist es Kultur, wenn man mal auf die Vier Jahreszeiten von Verdi gevögelt hat?“ fragt sie. „Damals hab ich am nächsten Tag eine Musik-CD mitgebracht, um zu zeigen, das ich auch was von Kultur verstehe. Man will ja mithalten. Instrumentalmusik von Gitarro King. Kam nicht so gut an.“

Sie schnaubt.

„Wo du mich mal mitgenommen hast, wo sie die Texte vorgelesen haben...“

„Poetry Slam,“ sage ich.

„Jaaa, wo ich mir den Namen nicht merken kann, das hat mir gefallen. Vielleicht kannst du mich mal ins Ballett mitnehmen?“

„Da wird zwei Stunden lang nicht geredet und nur getanzt.“

„Macht nichts, ich stelle mir dann vor, was man denkt, wenn man du ist.“

„Was du denkst, weiß ich jetzt schon.“

„Häh?“

„Scheiße, hier kann man nicht rauchen.“

 

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